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Bundesverfassungsgericht: Kindererziehungsaufwand bei der Pflegeversicherung berücksichtigen

Auch Beschäftigte des Vollzuges dürfen nach dem Karlsruher Richterspruch auf Entlastung bei der Pflegeversicherung hoffen, so sie denn Kinder zu erziehen haben. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Grundsatzentscheidung anerkannt, dass Kindererziehungszeiten Auswirkungen auf die Beiträge zur Pflegeversicherung haben müssen.

Dies sei eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Ein Diakon aus Freiburg und andere hatten geklagt, um eine Minderung aller drei Komponenten der Sozialversicherung zu erreichen. Lediglich mit der Beanstandung der Pflegeversicherung hatten die Kläger Erfolg.

Der klagende Diakon verfolgt sein Ziel bereits seit sechzehn Jahren, obwohl sein Anliegen erhebliches Spaltpotential beinhaltet. Er wollte für Familien mit einem oder mehr Kindern eine Beitragssenkung der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung erreichen. Sein Ansatz war es, dass die Betreuung und Pflege der nachwachsenden Generationen eine erhöhte Belastung darstellt, die im Rahmen der Sozialversicherung durch eine gegenüber Alleinstehenden abgesenkte Beitragsregelung anerkannt werden müsse.

Was derzeit Gültigkeit hat!

In den wesentlichen Punkten haben die Verfassungsrichter dem Anliegen der Kläger allerdings nicht entsprochen. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits 2001 geurteilt, dass Erziehungsleistungen auch bei der Pflegeversicherung anerkannt werden müssten, da Eltern im Gegenteil zu Kinderlosen einen wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems leisteten.

Daraufhin wurden die Beitragsätze neu geregelt. Der Beitrag für Eltern liegt seither bei 3,05 Prozent des Bruttoeinkommens, jener für Kinderlose bei 3,4 Prozent. Von diesem Satz haben Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils die Hälfte zu tragen. Vom Bundessozialgericht ist diese Regelung in der Folgezeit mehrfach bestätigt worden. Die Sozialrichter begründeten ihre Entscheidungen damit, dass der Gesetzgeber Kindererziehung nicht überall in Form geringerer Beiträge berücksichtigen müsse. Durch den kostenlosen Schulbesuch und die Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung werde ein angemessener Ausgleich geschaffen.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mit seiner aktuellen Entscheidung (Beschluss vom 7. April 2022 / 1 BvL 3/18, 1 BvR 2824/17, 1 BvR 2257/16, 1 BvR 717/16) den Gesetzgeber verpflichtet, die Beitragsgestaltung der Pflegeversicherung bis zum 31. Juli 2023 neu zu regeln. Die Vorgabe des Gerichts lautet, dass künftig die genaue Anzahl der Kinder bei der Beitragsbemessung berücksichtigt werden muss. Bei der gesetzlichen Rentenversicherung hat das Gericht keinen Handlungsbedarf gesehen, weil die Anrechnung von Kindererziehungszeiten faktisch eine Entlastung der Beitragsseite darstelle. Dies sei als Äquivalent angemessen und ausreichend.

Die Konsequenzen des Urteils

Mit der Verpflichtung des Gesetzgebers zur Novellierung des Beitragsrechts eröffnen die Verfassungsrichter gleichzeitig einen großen Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum. So können Eltern mit Kindern entlastet werden, indem für sie der bisherige Beitragssatz von 3,05 Prozent für jedes Kind weiter abgesenkt wird. Es ist aber auch möglich das 3,05 Prozent als das niedrigste Beitragsniveau für besonders kinderreiche angesehen wird und die Beitragshöhe für weniger kinderreiche Menschen angehoben wird. In diesem Fall müsste allerdings auch der Beitrag für Kinderlose deutlich steigen, weil sonst der Beitragsabstand zu Menschen mit Kindern nicht mehr gewahrt wäre. Nur auf diese Weise kann nach Einschätzung des Gerichts die bisherige Benachteiligung von Eltern mit mehreren Kindern gegenüber solchen mit nur einem Kind beseitigt werden.

Renten- und Krankenversicherung müssen nicht verändert werden

Durch das Beitragsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung sieht das Verfassungsgericht Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz nicht als verletzt an. Immerhin stelle die Anrechnung der Kindererziehungszeiten im System der gesetzlichen Rentenversicherung einen angemessenen Ausgleich für den wirtschaftlichen Aufwand der Kindererziehung dar und sei folglich nicht zu beanstanden.

Nach Ansicht des Gerichts sei der Gleichheitsgrundsatz in der Krankenversicherung nicht schon deshalb verletzt, dass Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung mit Kindern mit dem gleich hohen Krankenversicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder belastet werden. Der in Familien mit Kindern bestehende mehrfache Bedarf an Krankenversicherungsschutz zieht nach Auffassung der Richter zwar einen erhöhten Unterhaltsaufwand nach sich, doch sei dieser bereits durch den Gesetzgeber mit Schaffung einer beitragsfreien Familienversicherung anerkannt worden. Diese Struktur stelle faktisch eine Beitragsentlastung dar und sei folglich nicht zu beanstanden.

Dem klagenden Diakon aus Freiburg nutzt die Entscheidung der Verfassungsrichter nichts mehr, weil seine Kinder im Laufe des Verfahrens ds Erwachsenenalter erreicht haben. Profitieren können jetzt nur noch Nachkommen und natürlich jene Eltern, die gegenwärtig Erziehungsleistungen für die Gesellschaft erbringen.

Friedhelm Sanker

Foto: mistic_boy/stock.adobe.com