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Strafvollzug in der Realitätsfalle – Wenn die Wünsche die Möglichkeiten übersteigen

Seit der Föderalismusreform im Jahre 2006 konkurrieren die Bundesländer nicht nur bei der Ausgestaltung des Strafvollzuges, sondern auch im Bereich der Gesetzgebung. Jene Bundesländer, die sich an einer jeweils eigenen Gesetzgebung versuchten, hatten überwiegend den Anspruch, einen möglichst liberalen, dabei aber wirksamen Vollzug zu realisieren. In welche Schwierigkeiten man dabei geraten kann, belegt jetzt das Beispiel des Landes Schleswig-Holstein.

Hier wurde ein Gesetz verabschiedet, das zumindest in Teilen die personellen Möglichkeiten des Landes zu übersteigen scheint.

Das Gesetz verfolgt durchaus liberale Ansätze. So dürfen Inhaftierte private Kleidung tragen, mehr Besuch empfangen und werden nur noch nachts in ihren Hafträumen eingeschlossen. Damit wurden die Zeiten, die Gefangene außerhalb ihres Haftraumes während der Freizeit verbringen können, deutlich ausgedehnt. Seit dem 1. September 2016 ist diese Regelung in Kraft und schon hat sie zu massiven Schwierigkeiten geführt. Sowohl in der JVA Neumünster als auch in der JVA Lübeck protestierten Gefangene massiv, als ihnen die nach der Neuregelung zustehenden Rechte vorenthalten werden sollten.

Gefangene verlangen Einhaltung ihnen gewährter Rechte

In der JVA Neumünster weigerten sich 32 Gefangene, in ihre Hafträume zurückzukehren, weil die ihnen zugestandene Zeit außerhalb der Hafträume verkürzt werden sollte. Erst nach knapp einer halben Stunde und nach gutem Zureden konnte die Meuterei ohne Gewaltanwendung beendet werden.

In der JVA Lübeck konnte der vorgesehene Aufschluss aus Gründen eines akuten Personalmangels nicht realisiert werden. Dies nahmen die Inhaftierten eines Hafthauses zum Anlass zu revoltieren. Häftlinge schrien, schlugen gegen die Zellentüren, und warfen brennende Gegenstände aus ihren Zellenfenstern. Anderthalb Stunden dauerte der Spuk im Hafthaus G, wo Gefangene mit längeren Freiheitsstrafen untergebracht sind. Durch den von den Gefangenen verursachten Lärm fühlten sich Anwohner der Vollzugseinrichtung belästig und alarmierten die Polizei.

Politischer Streit ist nicht die Lösung des Problems

Jetzt kommt es, wie es kommen muss. Die Landtagsopposition hat sich des Themas bemächtigt und wirft Justizministerin Anke Spoorendonk vom Südschleswiger Wählerverband (SSW) politisches Versagen vor, während die Ministerin darauf beharrt, einen Personalmangel gebe es faktisch nicht. Mit dem Haushalt seien sieben Stellen geschaffen worden, die jetzt besetzt werden müssten und nach der Schließung der Abschiebehaftanstalt stünden weitere zehn Stellen zur Verteilung auf die Vollzugseinrichtungen des Landes bereit. Der Praxis ist mit diesem politischen Streit leider nicht gedient. Sinnvoller wäre es, die bestehenden Probleme zu analysieren und umgehend einer sachgerechten Lösung zuzuführen.

Eine Politik, die die personellen Möglichkeiten des Vollzuges ausblendet, nimmt Risiken in Kauf, die zu allererst die Kolleginnen und Kollegen in den Einrichtungen treffen. Sie müssen sich mit vermeidbaren Problemen herumschlagen. Ein solches Vorgehen ist an Ignoranz und Gleichgültigkeit kaum zu überbieten

Ausufernde Subkultur ist der Tod des Behandlungsvollzuges

Jedem Vollzugspraktiker ist klar, dass Freiräume, die in Vollzugseinrichtungen eingeräumt oder gewährt werden, personell überwacht und kontrolliert werden müssen. Ansonsten wird der Entstehung von subkulturellen Entwicklungen Tor und Tür geöffnet. Zudem haben die Bundesländer versucht, beim Personal eine Demographierendite zu realisieren. Dieser Personalabbau rächt sich jetzt in vielen Bereichen.

Beim Strafvollzug führt ein Personalabbau zwingend zu negativen Auswirkungen auf die bestehende Sicherheitsarchitektur einer Vollzugseinrichtung. Wird gleichzeitig durch eine konzeptfreie Liberalisierung der Aufgabenumfang für die Kolleginnen und Kollegen erhöht, haben diese die auftretenden Risiken zu tragen. Dies ist eine Politik von der sich alle Bundesländer – auch Nordrhein-Westfalen – möglichst schnell verabschieden sollten, wenn aus Vollzugseinrichtungen nicht kaum mehr beherrschbare Pulverfässer werden sollen. Das aktuelle Beispiel aus dem Norden der Republik sollte allen Verantwortlichen Lehre und Ansporn sein, bei der Gestaltung des Vollzuges den Blick für das faktisch Machbare nicht zu verlieren.

Friedhelm Sanker

Foto im Beitrag © Marek Brandt / Fotolia.de