Verwendung von Cookies
Um unsere Webseite für Sie optimal zu gestalten und fortlaufend verbessern zu können, verwenden wir Cookies. Durch die weitere Nutzung der Webseite stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu.
Weitere Informationen zu Cookies erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Drucken

Verurteilte Terroristen werden den Vollzug künftig vor enorme Herausforderungen stellen.

Suizid in der JVA Leipzig: Expertenkommission empfiehlt ausgewählte Gefängnisse für Terrorverdächtige

Nach der Selbsttötung des mutmaßlichen IS-Terroristen Dschaber al-Bakr in der JVA Leipzig überbot sich die Politik mit Vorwürfen aller Art an Polizei und Strafvollzug. Nachdem die eingesetzte Expertenkommission jetzt ihren 184-seitigen Bericht vorgelegt hat, wird eines deutlich: Die überbordende Kritik am Strafvollzug ist in weiten Teilen haltlos.

Dies ist abermals ein Beleg dafür, dass die Politik bei Ereignissen mit terroristischem Hintergrund oftmals in der Gefahr steht, vermeintlich fehlerhaftes exekutives Handeln schnell für eigene Interessen nutzbar zu machen. Ihr muss aber klar sein, dass sie damit zur Destabilisierung der staatlichen Institutionen und unseres Gemeinwesens beiträgt und das nur, um die Regierung kurzfristig in Bedrängnis zu bringen. Der Bericht zeigt anhand der Aufarbeitung der Abläufe sehr deutlich, dass der Politik etwas mehr Zurückhaltung bei kritischen Bewertungen gut zu Gesicht stünde.

Die Expertenkommission hatte im Wesentlichen zwei Fragen zu klären: Wie konnte der Dschaber al-Bakr der Polizei in Chemnitz entkommen und warum konnte er sich – von den Kolleginnen und Kollegen der Justizvollzugsanstalt Leipzig unbemerkt – in seinem Haftraum erhängen? Was den Bereich des Vollzuges betrifft, gelangt der Bericht zu der Erkenntnis, dass keine gravierenden Fehler gemacht worden sind.

Suizidprophylaxe war sachgerecht

Speziell der mit der Suizidprophylaxe befassten Psychologin der JVA Leipzig könne kein Vorwurf gemacht werden. Sie habe das etwa einstündige Gespräch mit al-Bakr „sorgfältig vorbereitet und kompetent durchgeführt“, stellt die Expertenkommission fest. In dem Gespräch habe sich al-Bakr mit seiner Zukunft auseinander gesetzt und den Wunsch geäußert, gemeinsam mit anderen Gefangenen untergebracht zu werden. Ein solcher Wunsch spreche dafür, dass zu diesem Zeitpunkt keine Suizidgefährdung vorgelegen habe. Dass Ergebnis der psychologischen Exploration, keine akute Suizidgefahr anzunehmen, wurde daher seitens der Experten nicht beanstandet. Auch die angeordneten Kontrollen und deren Durchführung seien nicht zu kritisieren. Lediglich die Behandlung des Terrorverdächtigen, so die Kommission, sei unzureichend gewesen. Als Beispiel für diese Kritik wird die Nichtgewährung von Hofgang angeführt.

Aus ihren Feststellungen leitet die Expertenkommission Empfehlungen für den künftigen Umgang mit Terrorverdächtigen ab. Für den Vollzug wird festgestellt, dass eine zentrale Unterbringung bestimmter Tätergruppen in ausgewählten Anstalten als sinnvoll angesehen werde. Für den Kampf gegen den Terrorismus werden die föderalen Strukturen der Bundesrepublik nicht als Hindernis angesehen, wohl aber müsse die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern weiter intensiviert werden, stellt die Expertenkommission fest.

Expertenkommission spricht sich für zentrale Unterbringung von Terrorverdächtigen aus

Die Gesellschaft muss zur Kenntnis nehmen, dass die Herausforderung durch den Terror an sich nach zentralen Strukturen verlangt, um jederzeit handlungsfähig zu sein. Die entsprechenden Forderungen des Bundesinnenministers sind daher sachlich gerechtfertigt. Der Widerstand der Bundesländer, Kompetenzen an den Bund abzugeben, ist derzeit wohl noch zu groß. Und die Länder haben gute Argumente auf ihrer Seite, weil der Föderalismus sich als Instrument zur Verhinderung des Missbrauchs staatlicher Macht bestens bewährt hat. Sollten die Terroranschläge in der Zukunft allerdings zunehmen, wird diese Argumentation von Anschlag zu Anschlag an Wirkung abnehmen, so dass Änderungen auf lange Sicht nicht ausgeschlossen sind.

Sinnvoll wäre auch die Rückkehr zu einem einheitlichen Strafvollzugsrecht. Vielleicht hätte, wenn in Sachsen – wie in anderen Bundesländern - die Videoüberwachung rechtlich zulässig gewesen wäre, der Suizid al-Bakr’s verhindert werden können. Für schnelle Verlegungen wäre es – wie zu den Zeiten der Unterbringung von RAF-Terroristen – hilfreich, wenn diese auf der Basis einer einheitlichen Rechtsgrundlage erfolgen könnten.

Ansonsten ist die durch die Expertenkommission empfohlene Zentralisierung der Unterbringung durchaus skeptisch zu sehen. Für den Bereich der Untersuchungshaft mag die zentrale Unterbringung noch Sinn machen. Für den Bereich der Strafhaft dürfte sie hingegen ungeeignet und kontraproduktiv sein. Insoweit hat uns Stammheim gelehrt, dass die Schaffung homogener Einheiten mit dem Risiko behaftet sind, den Gruppendruck auf den Einzelnen so zu erhöhen, dass eine Abkehr von der ideologischen Basis seines terroristischen Handelns so gut wie ausgeschlossen ist.

Zentrale Unterbringung würde Deradikalisierung erschweren

Wenn man es also mit der Deradikalisierung von islamischen Gewalttätern ernst meint, dann ist eine dezentrale Unterbringung zwingende Voraussetzung für das Erreichen dieses Zieles. Dies bedeutet aber nicht, dass die für eine solche Unterbringung vorgesehenen Vollzugseinrichtungen nicht speziell ausgestattet und fachlich vorbereitet sein sollten. Im Gegenteil: Hier sollte nicht an Sachmitteln oder beim Personal gespart werden.

Die Verhinderung eines Suizides ist immer schwer und kann bei entsprechender Motivation des Betreffenden kaum erreicht werden. In Leipzig kam hinzu, dass der Einsatz des Instruments der Videoüberwachung, das hätte helfen können, nach dem sächsischen Strafvollzugsgesetz rechtlich nicht zulässig war. Auf dieser Grundlage, anderes ist auch dem Bericht der Expertenkommission nicht zu entnehmen, haben die Leipziger Kolleginnen und Kollegen einen guten Job gemacht.

Friedhelm Sanker



Symbolbild im Beitrag © ra2studio / Fotolia.de