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Der Strafvollzug in der Bundesrepublik ist sicher wie nie.

Entweichungen 2016: Wie sicher ist der Strafvollzug?

Vor einigen Tagen berichtete die Presse über die Zahl der im Jahr 2016 aus den bundesdeutschen Vollzugseinrichtungen entwichenen Gefangenen. Die Zahl der Entweichungen aus allen geschlossen Vollzugseinrichtungen der Bundesrepublik Deutschland ist dabei mit 16 erfreulich niedrig ausgefallen. Die gute Nachricht für die Öffentlichkeit lautet also: Die bundesdeutschen Vollzugseinrichtungen sind sicher wie nie.

Noch vor wenigen Jahren lagen diese Zahlen um ein Vielfaches höher. Die technische Aufrüstung der Vollzugseinrichtungen hat hier eine nachhaltig positive Wirkung entfaltet. Die niedrige Zahl ist besonders deshalb anerkennenswert, weil die Inhaftierten überwiegend Gerichtstermine, Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte oder sonstige bewachte Ausführungen nutzten, um sich der Strafvollstreckung durch Flucht zu entziehen. Die Abschlussvorrichtungen der bundesdeutschen Gefängnisse sind zwischenzeitlich so effektiv, dass es kaum einem Inhaftierten gelingt, diese zu überwinden.

Etwas anders stellen sich die Zahlen für den offenen Vollzug dar. Während in Nordrhein-Westfalen 270 und in Berlin 52 Entweichungen dokumentiert wurden, sind aus den restlichen 14 Bundesländern lediglich insgesamt 41 Inhaftierte aus dem Bereich des offenen Vollzuges entwichen. Diese Zahlen machen zunächst einmal stutzig, weil sie so gravierend voneinander abweichen. Sie erklären sich daraus, dass Berlin und Nordrhein-Westfalen die Möglichkeiten des offenen Vollzuges in wesentlich größerem Umfang nutzen als die restlichen 14 Bundesländer. Und dann ergibt sich noch das statistische Problem, dass in NRW Abwesenheiten von wenigen Stunden nach gewährten Lockerungen bereits als Entweichung gewertet werden, während andere Bundesländer erst nach einem längeren Zeitablauf von einer Entweichung sprechen.

Was bedeutet das für die öffentliche Sicherheit?

Wenigstens in einigen Medien ist zutreffend darauf aufmerksam gemacht worden, dass im offenen Vollzug nur solche Inhaftierten untergebracht werden, die kein erhöhtes Risiko für die öffentliche Sicherheit darstellen. Entweder sie befinden sich im Endstadium der Strafvollstreckung und bedürfen einer intensiven Entlassungsvorbereitung oder es handelt sich um solche Gefangenen, bei denen bereits zu Beginn des Vollzuges im Rahmen meist gutachterlich abgesicherter Zugangsverfahren die Eignung für diese Vollzugsform festgestellt worden ist.

Nordrhein-Westfalen verfügt über mehr als 4000 Haftplätze im offenen Vollzug und hat diese zwischenzeitlich zu einer effizienten Vollzugsform ausgebaut. Hier wird die Möglichkeit genutzt, im Vollzug neu vermittelte und erlernte Verhaltensweisen unter den Bedingungen weitgehender Freizügigkeit auf ihre Tragfähigkeit hin zu überprüfen. Ziel ist es, die Erprobung von Straftätern noch während des Vollzuges zu realisieren und nicht auf die Zeit nach der Entlassung zu verlagern. Durch diese Art der Vollzugsgestaltung wird das Risiko für die Öffentlichkeit deutlich reduziert, weil sie nicht mit unvorbereiteten Entlassenen konfrontiert wird und die Erprobung im offenen Vollzug die Möglichkeit eröffnet, noch Einfluss nehmen zu können und den Bedarf für notwendige Unterstützungsmaßnahmen nach der Entlassung zu erkennen und auf dessen Befriedigung hinzuwirken. Nach Überzeugung von Praxis und Wissenschaft gibt es zu dieser Art der Vollzugsgestaltung keine Alternative, weil sie die beste Rehabilitationsstrategie darstellt, die Sicherheit schafft und Opfer vermeidet.

Warum weichen die Zahlen so stark ab?

Risiken, die NRW mit seinem vergleichsweise extensiven Umfang des offenen Vollzuges während der Strafvollstreckung eingeht, um Straftäter im Vollzug sachgerecht zu fördern, sind in den Bundesländern mit vermeintlich günstigeren Zahlen nicht aus der Welt, sondern auf die Zeit nach der Entlassung verlagert.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass nur ein geringer Teil derjenigen, die nicht rechtzeitig oder gar nicht in den Vollzug zurückkehren, wieder straffällig wird. Aber selbst dann, wenn in jedem Fall der 270 Entweichungen in NRW eine Straftat begangen worden wäre, wäre dies eine im Vergleich zu den rd. 1,5 Millionen Straftaten, die jährlich in NRW begangen werden, eine eher geringe Größenordnung. Allein diese Zahlen belegen, dass das mit dem offenen Vollzug verbundene Risiko durchaus akzeptabel ist, weil Gefangene bei ihrer Entlassung erprobt sind und eine gute Chance besitzen, künftig straffrei leben zu können.

Die publizierten Zahlen bedürfen der Erläuterung

Leider wurde in den Medien eine entsprechende Einordnung des bestehenden Risikos nicht vorgenommen, so dass der Vollzug bei vermeintlich hohen Entweichungszahlen oder sonstigen Negativberichten schnell in der Gefahr steht, grundsätzlich in Frage gestellt zu werden. Dies beruht vermutlich auf der unterschiedlichen Wahrnehmung der verschiedenen Lebensbereiche. Während die Gesellschaft bei 270 Entweichungen von Inhaftierten des offenen Vollzuges Gefahr wittert, bleibt sie beim Individualverkehr mit seinen 441 Todesfällen in 2016 allein in NRW völlig entspannt und stellt nicht gleich die Systemfrage.

BSBD-Chef Peter Brock ist deshalb auch überzeugt, dass der offene Vollzug für die sachgerechte Entlassungsvorbereitung der Gefangenen, für die Integration in den Arbeitsmarkt und für den schonenden Umgang mit den Landesfinanzen ohne Alternative ist. „Würde NRW den offenen Vollzug reduzieren wollen, stünden wir sofort vor dem personellen Kollaps. Der NRW-Strafvollzug weist bereits derzeit eine Personallücke von rd. 1.000 Stellen auf. Zudem wäre es kontraproduktiv eine Vollzugsform, die sich nachdrücklich bewährt hat, aus Angst vor der öffentlichen Meinung zu reduzieren“, stellte der NRW-Landesvorsitzende der Gewerkschaft Strafvollzug fest. Peter Brock warnte auch die Politik davor, den offenen Vollzug zum Gegenstand der politischen Auseinandersetzung zu machen. Hierdurch, so der Gewerkschafter, könne diese Vollzugsform diskreditiert werden. Dies sollte im Interesse der Wiedereingliederungsbemühungen des Vollzuges tunlichst unterbleiben.

Friedhelm Sanker


Foto im Beitrag © BSBD-Archiv