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Verfassungsrichter trimmen Tarifeinheitsgesetz auf Verfassungskonformität

Das Karlsruher Verfassungsgericht hatte bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung des Tarifeinheitsgesetzes von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles wohl keine Sternstunde. Mit Auslegungshinweisen und dem Auftrag an die Bundesregierung, den Schutz von Spartengewerkschaften als einklagbares Recht bis Ende 2018 auszugestalten, hat das Gericht das handwerklich problematische Gesetz passieren lassen.

Zwei Richter des zuständigen Ersten Senats wollten sich diesem Votum allerdings nicht anschließen und gaben ihre abweichende Meinung zu Protokoll.

In Überreinstimmung mit den Arbeitgebern und dem DGB zielte das Gesetz von Andrea Nahles (SPD) darauf ab, streikmächtigen Spartengewerkschaft wie der Piloten- oder der Lokführervereinigung den Garaus zu machen. Sie schuf deshalb die Regelung, dass in einem Betrieb künftig nur noch ein Tarifvertrag zu gelten habe, und zwar jener der mitgliederstärksten Interessenvertretung.

Sind zwei konkurrierende Tarifverträge geschlossen worden, sollte trotzdem nur der mit der mitgliederstärksten Gewerkschaft abgeschlossene Verbindlichkeit erlangen. Angestrebt wird damit ein Interessenausgleich auf Gewerkschaftsebene zwischen den einzelnen Berufsgruppen eines Betriebes.

Bundesverfassungsgericht betritt verfassungsrechtliches Neuland

Bereits im Rahmen der mündlichen Verhandlung hatte der Vorsitzende des Ersten Senats, Ferdinand Kirchhoff, darauf hingewiesen, dass mit dem Verfahren verfassungsrechtliches Neuland betreten werde. Doch auch angesichts des Schwierigkeitsgrades der zu beurteilenden Rechtsmaterie bleibt das ungute Gefühl, auch die Verfassungsrichter seien an dem Versuch, einen allen Interessen Rechnung tragenden Rahmen für den Abschluss von Tarifverträgen zu schaffen, kläglich gescheitert.

Das Verfassungsgericht hat sich von der Annahme leiten lassen, dass Spartengewerkschaften für ihre Klientel aufgrund ihrer Streikmacht mehr vom Verteilungskuchen erkämpfen können und ein Ausgleich mit anderen Berufsgruppen folglich nicht stattfinde. Diese Überlegung geht von der Annahme aus, dass der auf die Arbeitnehmer zu verteilende Anteil am Gewinn eines Betriebes faktisch eine unveränderliche Größe darstellt. In diesem Fall würde eine hohe Gehaltssteigerung für eine Berufsgruppe bei den restlichen Berufsgruppen kompensiert werden müssen. Nachdem die Einkommen aus unternehmerischer Tätigkeit in den zurückliegenden Jahren exorbitant angestiegen sind, besteht allerdings auch die Möglichkeit, einen größeren Anteil des Gewinns auf den Faktor Arbeit zu verteilen. Diese Möglichkeit hat das Verfassungsgericht gar nicht erst erwogen und mit seinem Urteil der Fähigkeit der Arbeitnehmer, ihre Interessen auf der Grundlage des Koalitionsrechts optimal zu vertreten, nicht unerheblichen Schaden zugefügt.

Das Verlangen von Nachbesserungen führt zu einem Zielkonflikt

Einerseits haben sie das Tarifeinheitsgesetz passieren lassen, andererseits geben die Richter der Bundesregierung auf, das Gesetz zum Schutz von Spartengewerkschaften nachzubessern. Das Gericht verkennt dabei offenbar, dass die Bundesarbeitsministerin mit dem Gesetz doch gerade das angestrebt hat, was sie nun nach dem Auftrag des Gerichts verhindern soll: Die Abschaffung streikmächtiger Spartengewerkschaften.

Ein solches Vorgehen und eine solche Zielsetzung des Gesetzgerbers stellt einen klaren Verstoß gegen die Koalitionsfreiheit des Artikels 9 Abs. 3 Grundgesetz dar. Dort heißt es: „Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern versuchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.“

Das Tarifeinheitsgesetz erlaubt Arbeitnehmern zwar auch künftig, sich in Spartengewerkschaften zu organisieren. Und es bleibt diesen Gewerkschaften auch unbenommen Tarifverträge zu schließen. Betritt aber ein größerer Konkurrent die Bühne, sorgt das Gesetz von Andrea Nahles dafür, dass der abgeschlossene Tarifvertrag nicht mehr das Papier wert ist, auf dem er geschrieben ist.

Massive Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit

Dem Gewerkschafts-David bleibt in einem solchen Fall nichts anderes übrig, als den durch den Gewerkschafts-Goliath abgeschlossenen Tarifvertrag nachzuzeichnen. In der Praxis angewendet, würde dies zum schleichenden Tod der streikmächtigen Spartengewerkschaften führen. Die Koalitionsfreiheit wäre massiv beeinträchtigt.

Auch wenn die Verfassungsrichter dies anders bewerten, wird sich das Tarifeinheitsgesetz mit großer Wahrscheinlichkeit auch auf das Streikrecht auswirken. Jedes Arbeitsgericht wird jeden Streik für Tarifabschluss, der wahrscheinlich gar nicht in Kraft treten kann, für unverhältnismäßig erklären.

Als Trost bleibt der Umstand, dass das Mitte 2015 verabschiedete Gesetz bis Ende 2018 keine Rechtswirkung entfalten wird. Auch die praktischen Hürden für die Tarifeinheit sind beachtlich, angefangenen mit der Definition des Betriebsbegriffs bis zum Datenschutz, der die Veröffentlichung von Mitgliederzahlen untersagt. Kolleginnen und Kollegen können doch nicht verpflichtet werden, ihre Gewerkschaftszugehörigkeit preiszugeben.

Das Tarifeinheitsgesetz kann noch am Praxistest oder vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte scheitern

Allein der Versuch, das Gesetz anzuwenden, muss damit zwangsläufig vor den Arbeitsgerichten landen und es bleibt abzuwarten, wie dort die komplexen Probleme gelöst werden sollen.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juli 2017 (1 BvR 1571/15) schafft jedenfalls keine Klarheit und es ist zu vermuten, dass die vom Bundesgesetzgeber geforderte Nachbesserung das Tarifeinheitsgesetz noch monströser und unanwendbarer machen wird. Angesichts des sehr hohen Prozessrisikos sind die Arbeitgeber gut beraten, von der bisherigen Praxis nicht abzuweichen.

Klaus Dauderstädt, Chef des Deutschen Beamtenbundes, hat nach einer ersten Prüfung das Urteil als „schwer nachvollziehbar“ bezeichnet. Der DBB werde, so Dauderstädt, politisch seinen Einfluss geltend machen und – falls erforderlich – auch den Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht scheuen.

Friedhelm Sanker


Foto im Beitrag © Cevahir / Fotolia.de