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Bundesverfassungsgericht: Lange Untersuchungshaft kann mit der Überlastung des Gerichts nicht ausreichend begründet werden

Mit Beschluss vom 11. Juni 2018 (2 BvR 819/18) hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden, dass eine überlange Untersuchungshaft eines Beschuldigten nicht mit der Überlastung des zuständigen Gerichts gerechtfertigt werden kann. Wenn es der Staat versäumt, seine Gerichte verfassungsgemäß auszustatten, könne dies nicht zu Lasten eines Beschuldigten gehen. Der Staat habe insoweit die Pflicht, seine Gerichte so auszustatten, dass Verfahren zügig durchgeführt werden könnten.

Der Entscheidung liegt der Fall eines Beschuldigten zugrunde, der im November 2016 wegen des Verdachts der räuberischen Erpressung und der Bildung einer kriminellen Vereinigung in Untersuchungshaft genommen wurde. Die im April 2017 verfasste Anklage führte dazu, dass die zuständige Kammer des Landgerichts ihre Überlastung anzeigte. Nach Errichtung einer weiteren Kammer übernahm diese das Verfahren und ließ die Anklage im November 2017 zu und beschloss die Eröffnung des Hauptverfahrens.

Bis zum 23. Mai 2018 beraumte die Kammer 21 Termine an. Einen auf das Beschleunigungsgebot gestützten Haftprüfungsantrag wies das Landgericht zurück. Die hiergegen gerichtete Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht Dresden mit Beschluss vom 27. März 2018 als unbegründet. Gegen diese Entscheidung erhob der Beschuldigte Verfassungsbeschwerde, die nunmehr erfolgreich war.

Nach Auffassung der Verfassungsrichter hatten die Fachgerichte nicht schlüssig begründen können, warum ein besonderer Ausnahmefall vorgelegen haben sollte, der es gerechtfertigt hätte, dass das Landgericht Dresden erst ein Jahr und einen Monat nach Beginn der Untersuchungshaft und sieben Monate nach der Anklageerhebung mit der Hauptverhandlung begonnen hat. Erst recht wird die bisherige Verhandlungsdichte mit weit weniger als einem Verhandlungstag pro Woche dem verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebot nicht gerecht.

Die Karlsruher Richter befanden, dass bei der Anordnung der U-Haft das Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit angemessen zu berücksichtigen sei. Grundsätzlich dürfe nur einem rechtskräftig Verurteilen die Freiheit genommen werden. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung nur ausnahmsweise zulässig.

Die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte müssen daher alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten zur Last gelegten Taten herbeizuführen.

Die Verfassungsrichter stellten klar, dass die Untersuchungshaft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden kann, wenn ihre Fortdauer durch Verfahrensverzögerungen verursacht ist, die ihre Ursache nicht in dem konkreten Strafverfahren haben und daher von dem jeweiligen Beschuldigten nicht zu vertreten sind. Die nicht nur kurzfristige Überlastung eines Gerichts kann nach Überzeugung des Verfassungsgerichts deshalb niemals ein zureichender Grund für die Fortdauer der U-Haft sein. Hier sei der Staat verpflichtet, seine Pflicht zur verfassungsgemäßen Ausstattung der Gerichte nachzukommen.

Friedhelm Sanker

Symbolfoto: Cevahir / Fotolia.de