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Dierk Brunn (re.), BSBD-Vertreter des Psychologischen Dienstes, ist es gelungen, Prof. Dr. Henning Saß (Mi.) als Referenten für eine Fortbildung zu gewinnen. BSBD-Vize Ulrich Biermann (li.) konnte sich von einer Veranstaltung auf fachlich hohem Niveau überzeugen.

BSBD-Fortbildung für den Psychologischen Dienst: Extremismus, Fanatismus und politisch motivierte Straftaten aus forensisch-psychiatrischer Sicht

Am 12.07.2019 hat der BSBD eine weitere qualitativ hochwertige Fortbildung in der dbb-Akademie in Königswinter für den Psychologischen Dienst veranstaltet. Ulrich Biermann, Vize-Chef des BSBD-Landesverbandes, begrüßte den Referenten und die Teilnehmer und hob die Bedeutung der Fachdienste für die Gewerkschaftsarbeit hervor.

Als größte gewerkschaftliche Interessenvertretung der Strafvollzugsbediensteten in NRW mit weit über 6.000 Mitgliedern sei der BSBD nicht nur gefordert, den Kolleginnen und Kollegen eine angemessene Teilhabe am wirtschaftlichen Erfolg unserer Gesellschaft zu sichern, er stehe auch in der Pflicht, durch Einflussnahme auf gesetzliche Neuregelungen die Arbeitsverhältnisse positiv zu beeinflussen. Für diese Arbeit sei es wichtig, auch auf die Fachkompetenz und Erfahrung des Psychologischen Dienstes zurückgreifen zu können.

Nachdem es dem BSBD im vergangenen Jahr gelungen war, Dr. Nahlah Saimeh für eine Fortbildungsveranstaltung zu gewinnen, ist es Dierk Brunn, Fachschaftsvertreter des Psychologischen Dienstes im BSBD-Landesvorstand, in diesem Jahr erneut geglückt, mit Prof. Dr. Henning Saß eine weitere Kapazität der deutschen Psychiatrie zu engagieren.

Der Referent war für die angedachte Thematik der Fortbildung besonders prädestiniert, weil er sich seit vielen Jahren als Gutachter in diesem Bereich betätigt. Spätestens seit dem Jahre 1990 erlangte er in Fachkreisen deutschlandweite Beachtung, weil er bekannte Gewalttäter analysierte, die Autodesign-Ikone Claus Luthe begutachtete, der seinen Sohn getötet hatte, 2005 den Mörder des Modemachers Rudolph Moshammer explorierte und zuletzt die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, Beate Zschäpe, begutachtete. Prof. Dr. Saß gehört damit zu den bekanntesten forensisch-psychiatrischen Gutachtern in Deutschland.

Erst vor wenigen Wochen wurde er in der Onlineausgabe der Welt als „Der Mann, der hinter die Fassade der Mörder blickt“ beschrieben. Dass Prof. Dr. Henning Saß zudem an der deutschen Ausgabe des DSM IV (Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen) erfolgreich mitgearbeitet hat, beschreibt seine fachliche Kompetenz und sein Wirken in anschaulicher Weise.

Extremistische Verblendung stärkt Motivation und Ideologisierung

Prof. Dr. Saß stellte den Seminarteilnehmern das Thema Extremismus, Fanatismus und politisch motivierte Straftaten aus forensisch-psychiatrischer Sicht mit einem gut dreistündigen Referat vor. Der BSBD hatte gerade diese Thematik gewählt, weil ihr besondere Aktualität zukommt. Es ist absehbar, dass zukünftig vermehrt Terroristen aus den ehemaligen IS-Gebieten zurückkehren, angeklagt und verurteilt werden dürften. Auch der reaktiv wiedererstarkende Rechtsextremismus wird uns als Psychologen zunehmend beschäftigen und bedarf in der diagnostischen sowie prognostischen Betrachtung eines fundierten Hintergrundwissens.

In seinem Vortrag stellte Prof. Dr. Saß in seiner ruhigen und souveränen Art diverse Fallbeispiele vor, innerhalb derer unterschiedliche Wege in den Extremismus nachgezeichnet und diskutiert wurden.

In den drei Stunden verwies der Referent als eines der zentralen Merkmale extremistischer Verblendung auf ein Symptom, das in der Fachliteratur als Monoperzeptose bekannt ist. Damit wird die zunehmende Einengung jeglicher Wahrnehmung sowie Interpretation von Reizen der Außenwelt vor dem Hintergrund der jeweiligen Ideologie umschrieben.

Auf dem Weg in den Fanatismus zeichnet sich ein Muster ab, innerhalb dessen die umgebende Welt nur noch vor dem jeweiligen extremistischen Hintergrund erlebt und verarbeitet wird. Gewaltbereite Reaktionsmuster und radikale Verhaltensoptionen rücken immer weiter in den Vordergrund und werden zuletzt zunehmend als alternativlose Reaktionsmöglichkeiten betrachtet. Die charakterlich verankerte Tendenz zur dunklen Triade aus Machiavellismus, Narzissmus und Psychopathie scheint auf diesem Weg den Hang zum Terrorismus zu verstärken und zu befeuern.

Die verschiedenen Wege in die Radikalität

Prof. Dr. Saß ging im Rahmen seiner Ausführungen differenziert auf unterschiedliche Radikalisierungsmöglichkeiten ein und stellte neben den politisch-religiös motivierten Fehlentwicklungen auch psychopathologische Hintergründe, wie beispielsweise den sensitiven Beziehungswahn sowie die schizophrene Wahnkrankheit oder die komplexe Persönlichkeitsstörung als Basis für massive Gewaltdurchbrüche vor.

So wurde der Fall des Anders Breivik, des medial bekannten faschistischen Terroristen und Massenmörders aus Norwegen, exemplarisch anhand der Symptome einer kombinierten narzisstischen und antisozialen Persönlichkeitsstörung mit schizoiden und schizotypischen Zügen betrachtet und aufbereitet.

Der Weg in den islamistischen Terror wurde von Saß anhand des Falles von Emrah E. vorgestellt. Unter dem Einfluss des Internets, von Hasspredigern und etwaigen Peers aus dem islamistischen Spektrum, lassen sich vor allem die „gescheiterten Existenzen“ fangen und begeistern. Leygraf (2014) bezeichnete in diesem Zusammenhang den Dschihadismus als „schicksalsträchtige Möglichkeit, sich im schwierigen Prozess des Erwachsenwerdens zu verirren“.

Den universellen Typus des Gesinnungstäters gibt es nicht

Zuletzt betonte Prof. Dr. Saß explizit, dass es weder einen universellen Typus des Gesinnungstäters noch einen universellen Lebensweg für die Entwicklung von Radikalität und Extremismus gibt. Dennoch, so Saß weiter, zeige die Erfahrung, dass sich in der Biographie extremistischer Straftäter oft Schwächen im Selbstwertgefühl mit Identitätsunsicherheit und gesellschaftlicher Isolierung fänden.

Häufig sind es narzisstisch-egozentrische, schizoide, paranoide und dissoziale Persönlichkeitszüge, die eine Anbindung an die soziale Randständigkeit nachhaltig forcieren. Sich häufende Differentialdiagnosen sind außerhalb religiöser oder politischer Verblendung sowohl die schizophrene als auch die wahnhafte Störung.

Auf der anderen Seite finden sich auch kräftige durchsetzungswillige und -fähige Persönlichkeiten mit hohem Strukturniveau. Der volitionale Hintergrund dieser Fehlentwicklung steht zu den psychiatrisch erkrankten Terroristen im deutlichen Kontrast. Beide Typen zeigen als gemeinsames Muster gesteigerte Kränkbarkeit, Egozentrik und ein - wenigstens latentes - Streben nach Macht und Grandiosität. Die Identifikation mit einer Gruppe, Religion oder Ideologie verleiht Sicherheit, moralische Legitimation und Gefühle der Selbstwirksamkeit. Man ist Teil eines großen Ganzen, einer Elite im Dienst einer höheren Sache.

Behandlung muss stets den Einzelfall in den Blick nehmen

So wie man die psychisch gestörten Terroristen mit den bekannten psychotherapeutischen sowie zentralnervös wirksamen pharmakologischen Mitteln zu erreichen hoffen kann, erscheint die Therapie und Resozialisierung der politisch-religiös motivierten Überzeugungstäter schwieriger zu sein. Auch Prof. Dr. Saß vermochte kein behandlerisches Patentrezept vorzustellen, von dem Wirksamkeit erwartet werden könnte. Er plädierte für die engmaschige Erprobung und Begleitung der Delinquenten im Rahmen der Führungsaufsicht. Das Gefängnis sei - institutionell bedingt - ein Ort, der unter Umständen Problemfelder perpetuiere, anstelle sie abzumildern.

Eine Prozentangabe vermag die Gefährlichkeit nur unzureichend zu beschreiben

Weiter führte der Professor in diesem Kontext aus, dass er im Rahmen seiner Gutachtertätigkeiten immer wieder von den Gerichten den bekannten Auftrag zur Abklärung erhalte, ob die in der Tat zutage getretene Gefährlichkeit weiterhin fortbestehe.

Was soll man auf so eine Fragestellung antworten, fragte Prof. Dr. Saß in die Runde. Dies sei noch dazu deshalb schwierig, weil zur richterlichen Entscheidungsfindung am liebsten prozentuale Wahrscheinlichkeitsangaben gewünscht würden. Prozentränge seien nach seinem Dafürhalten allerdings ein unzulänglicher Maßstab, besage er doch nur, dass, gelange man prognostisch mit einem Testinstrument zu einer Rückfallwahrscheinlichkeit von 30 %, man lediglich behaupten könne, dass von 100 genau gleichen Probanden, auf die die genau gleiche Zukunft warte, durchschnittlich lediglich 30 wieder rückfällig würden.

Für den Einzelfall und die individuell in der Tat zutage getretene Gefährlichkeit seien solche Statistiken eine schwache argumentative Grundlage und nur peripher von Bedeutung. Mit dieser Feststellung traf Prof. Dr. Saß den Nagel auf den Kopf und sprach vielen Vollzugspsychologinnen und Vollzugspsychologen aus der Seele.

Der intensive fachliche Austausch war bei dieser BSBD-Fortbildung ein prägendes Element, was Prof. Dr. Saß in der Nachbesprechung besonders lobend hervorhob. Auch diese Fortbildung für den Psychologischen Dienst des BSBD NRW war eine gelungene Veranstaltung! „Eine Fortbildung, wie sie sein sollte“, lauteten etliche der Rückmeldungen der Fachkollegen.

Dierk Brunn