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Gewalt nimmt auch in den bundesdeutschen Vollzugseinrichtungen zu.

Justizvollzug: Dreht sich die Spirale der Gewalt immer schneller?

Seit einiger Zeit ist zu beobachten, dass die Hemmung, Bedürfnisse oder auch nur Interessen mit Gewalt durchzusetzen, in unserer Gesellschaft spürbar und nachhaltig abgenommen hat. Diese unselige Entwicklung, die uns als Gesellschaft vor erhebliche Herausforderungen stellen wird, hat augenscheinlich auch die bundesdeutschen Gefängnisse erreicht.

Bereits seit Monaten gehen uns Berichte von verbalen und vermehrt auch körperlichen Übergriffen zu, die eines überaus deutlich machen: Der Respekt vor dem Staat und seinen Vertretern hat sich in den letzten Jahren mehr oder weniger verflüchtigt.

Erst in der letzten Woche ereigneten sich zwei Vorkommnisse, die nicht ohne Wirkung auf die Arbeit in den Vollzugseinrichtungen bleiben werden. In den Medien wurde umfangreich und ausgiebig über den Fall eines 21-jährigen polnischen Untersuchungsgefangenen berichtet, der in der JVA Memmingen mehrere Bedienstete mit einer Rasierklinge attackierte. In der JVA Bochum wurden wenig später drei Bedienstete durch einen Gefangenen angegriffen und verletzt, der in seinem Haftraum randaliert hatte und der beruhigt werden sollte.

Behandlung erfordert Verhältnis von Nähe und Distanz

Der Behandlungsauftrag des Strafvollzuges kann nur gelingen, wenn zu den Gefangenen ein tragfähiges Verhältnis von Nähe und Distanz aufgebaut werden kann. Die zunehmenden Übergriffe durch Gefangene und die erhöhte Bereitschaft von Straftätern, Gewalt zur Durchsetzung ihrer Interessen anzuwenden, bedeuten allerdings einen tiefen Einschnitt in dieses Verhältnis, das einerseits auf Vertrauen, andererseits auf notwendiger Kontrolle beruht.

Bedienstete, die sich verstärkt auf Übergriffe einstellen und mit diesen jederzeit rechnen müssen, werden nicht mehr unbefangen mit Straftätern arbeiten können. Hier ist Verunsicherung zu erwarten, zumal sowohl im bayerischen als auch im nordrhein-westfälischen Vollzug die Politik bestrebt ist, die geschaffenen gesetzlichen Aufträge mit relativ wenig Personal in die Praxis umzusetzen. Wenn sich die Gewaltbereitschaft weiter intensiviert, wird sich die Politik von dieser Praxis schnellstens verabschieden müssen, sollen die Einrichtungen des Vollzuges beherrschbar bleiben.

Die Ãœbergriffe werden brutaler

Was ist in den beiden genannten Fällen im Einzelnen geschehen? In Bochum hatte ein deutscher Gefangener kurz nach der Frühstücksausgabe in dem von ihm bewohnten Haftraum randaliert. Daraufhin begaben sich drei Bedienstete zu diesem Raum, um die Ursache für das Ausrasten des Gefangenen abzuklären. Als sie die Tür öffneten, griff der Gefangene unvermittelt an und attackierte die Bedeisnteten mit Faustschlägen. Unter Anwendung unmittelbaren Zwanges konnte der Gefangene überwältigt und in einem besonders gesicherten haftraum untergebracht werden. Im Verlauf der Auseinandersetzung zogen sich ein Bediensteter Verletzungen an der Hand zu, während ein weiterer Beamter Verletzungen im Gesichtsbereich davontrug.

Im Memminger Fall waren die Folgen noch weitaus gravierender. Während einer Essensausgabe schüttete der 21-jährige Pole dem eintretenden Beamten brühheißes Wasser ins Gesicht. Zur Unterstützung herbeigeeilte Bedienstete versuchten den U-Gefangenen an eine Wand zu drücken, um seine Bewegungsfreiheit einzuschränken. Dabei entdeckten sie in der Hand des Gefangenen eine Rasierklinge. Mit dieser Klinge griff der Straftäter die Beamten an und fügte einem von ihnen massive Schnittverletzungen im Gesicht und am Hals zu.

Drei Bedienstete wurden bei der Auseinandersetzung so schwer verletzt, dass sie im Krankenhaus behandelt werden mussten. Sie konnten die Klinik inzwischen wieder verlassen. Ein Kollege hatte großes Glück. Die Schnittverletzung im Halsbereich hätte nach dem Ergebnis der ärztlichen Untersuchung durchaus auch tödlich sein können.

Die Staatsanwaltschaft Memmingen hat den brutalen Angriff des 21-jährigen Polen zum Anlass genommen, ein Ermittlungsverfahren wegen eines versuchten Tötungsdeliktes. Bis zu der geschilderten Gewalteskalation war der Untersuchungsgefangene nicht als gewalttätig aufgefallen. Er hatte jedoch vielfach versucht, seinen Wünschen und Forderungen durch Beschimpfungen und Beleidigungen Nachdruck zu verleihen.

Auch Einwegrasierer können als gefährliche Waffe verwendet werden

Zwischenzeitlich ist der Angreifer wegen seiner psychischen Auffälligkeiten in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden. Den verletzten Kollegen ist zu wünschen, dass die durch den heimtückischen Angriff erlittenen Verletzungen komplikationslos ausheilen werden.

Der Angriff wurde mit einem handelsüblichen Einwegrasierer durchgeführt, wie sie den Gefangenen durch die bundesdeutschen Vollzugseinrichtungen durchweg zur Verfügung gestellt werden. Dies macht deutlich, dass selbst die eingeschränkten Möglichkeiten in Vollzugseinrichtungen ausreichen, dass sich Gefangene bewaffnen können.

Konsequenzen sind unausweichlich

Die beiden geschilderten Fälle stehen exemplarisch für die zunehmende Gewaltbereitschaft der Gefangenen, die die Praktiker seit vielen Monaten beobachten. Durch die Zunahme vornehmlich von Untersuchungsgefangenen aus den Maghreb-Staaten, die überproportional zu Widersetzlichkeiten neigen, wird das Problem nochmals verschärft.

Diese Veränderung der in den nordrhein-westfälischen Vollzugseinrichtungen untergebrachten Klientel verlangt zwingend nach einer aufgabenangemessenen Personalausstattung. Nach Berechnungen des BSBD werden mindestens 1000 zusätzliche Planstellen benötigt, um die derzeitige personelle Unterdeckung zu beheben. BSBD-Chef Peter Brock stelle in Düsseldorf fest: „Die Kolleginnen und Kollegen arbeiten an der Grenze der Belastbarkeit. Mit dem neuen Phänomen der zunehmenden Gewaltbereitschaft fühlen sie sich bislang alleingelassen. Die Landesregierung bleibt zu schnellem Handeln und zur Verbesserung der Lage aufgefordert. Soll die sich steigernde Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft sachgerecht bekämpft werden, dann muss auf jeden Fall im Vollzug jede Form der Gewalt im Keim erstickt werden können, wenn der Staat glaubwürdig bleiben will. Damit dies möglich werden kann, ist der Abbau des bestgehenden Personalfehlbestandes unabdingbar.“

Friedhelm Sanker


Foto im Beitrag © nanihta / Fotolia.de